Unser “DryTheory2JuicyReality” Projekt wurde durch den PerLe-Fonds für Lehrinnovation gefördert. Hier ist ein Repost eines Beitrages, den ich für den Blog “Einfach gute Lehre” geschrieben habe.
„Meeresströmungen im Wassertank“: Lehre, die Wissenschaft begreifbar macht
Über eine Lehrinnovation, die auf Kleingruppenarbeit und „hands-on“-Praxiselemente setzte – und was in Zeiten von Covid-19 daraus wurde.
In der Lehrveranstaltung „Atmosphären- und Ozeandynamik” im Bachelorstudiengang Physik des Erdsystems wird das theoretische Grundgerüst zum Verständnis der globalen Bewegung von Luft- und Wassermassen erarbeitet, welches zum Beispiel Wetter- und Klimavorhersagen ermöglicht.
Vor der Lehrinnovation von Dr. Torge Martin (GEOMAR) und Dr. Mirjam Gleßmer (fascinocean) geschah dies vorwiegend theoretisch auf Papier und an der Tafel. Die Verknüpfung der Theorie mit beobachtbaren Phänomenen der realen Welt kam dabei oft zu kurz. Um die Theorie begreifbar zu machen, haben wir praktische Experimente in rotierenden Wassertanks und am Computer eingebettet. Diese werden von den Studierenden gemeinsam durchgeführt und das Verständnis durch in Gruppenarbeit erarbeitete Blogposts vertieft. So zumindest im ersten Semester der zweisemestrigen Lehrinnovation…
Das erste Semester – der Plan geht auf
Schon in Vorbereitung der Antragstellung bei PerLe konnten wir nicht länger warten – wir mussten uns einfach privat einen rotierenden Tank für zuhause anschaffen und die Experimente schon mal probieren! Was normalerweise viele Hundert Euro kostet, ist Dank der Bauanleitung des DIYnamics Teams und der Verwendung einfachster Bauteile (wie zum Beispiel eines LEGO Motors) auf einmal erschwinglich. Und das Wissen, dass eventuelle Fehler nicht furchtbar teuer werden, lässt uns – und auch unsere Studierenden – viel unbeschwerter und kreativer experimentieren!
Rotierende Tankexperimente durchzuführen ist zeitaufwendig: Bis der gesamte Wasserkörper in gleichmäßiger Drehung ist und die Durchführung des eigentlichen Experimentes starten kann, vergehen schon mal 30 Minuten. Die Finanzierung unseres Lehrinnovationsprojektes durch PerLe ermöglichte uns, vier rotierende Tanks anzuschaffen – genug, dass Studierende in Kleingruppen experimentieren können und so vier Experimente gleichzeitig vorbereitet und je nach Anwendung direkt oder nacheinander durchgeführt werden können. So können Entscheidungen über Parameter individuell in den Gruppen oder gemeinsam besprochen und getroffen. Im Seminarraum entsteht so eine angeregte Diskussion über Effekte und Theorie, wie sie zuvor durch Vorrechnen an der Tafel nie entstand. Und noch etwas haben wir gemeinsam erfahren: Bloß weil zwei Gruppen die gleichen Parameter ausgewählt haben, werden zwei Experimente noch lange nicht gleich aussehen! Diese Erfahrungen zu machen und zu diskutieren war sehr wertvoll und nur durch die vier parallellaufenden Tanks möglich.
Der zweite Aspekt unserer Lehrinnovation – frei nach dem Motto „Lernen durch Lehren“ – war ein Kurs zum populärwissenschaftlichen Schreiben, den Dr. Yasmin Appelhans durchgeführt hat. Die unglaublich kreativen Ergebnisse kann man auf unserem Blog „TeachingOceanScience“ bewundern! Es sei nur ein Beispiel herausgehoben: der beeindruckende Comic von Johanna Knauf. In dem Comic behandelt Johanna nicht nur fachlichen Inhalte, sondern hebt auch hervor, dass wir auf Lehrenden- wie Studierenden-Seite die Lehrinnovation mit Enthusiasmus und Spaß – und ganz viel Spielen! – durchgeführt haben.
Alles Feedback, das wir bekamen, war also uneingeschränkt positiv. Doch dann kam Covid-19.
Das zweite Semester – hands-on und digital
Was tun, wenn auf ein Mal genau der enge Kontakt zwischen Studierenden, das gemeinsame Spielen und Beobachten, die das Herzstück unserer Lehrinnovation waren, nicht mehr möglich sind und alle Lehre digital stattfindet? Idealerweise hätten wir allen Studierenden einen eigenen rotierenden Tank zur Verfügung gestellt, aber das ging natürlich nicht. Aber da war doch ein privater Tank irgendwo zuhause…?
Der Einfluss der Erdrotation auf Meeresströmungen und atmosphärische Winde ist nicht gerade intuitiv. Um diesen gut zu verstehen, ist es oft hilfreich, ihn direkt mit dem analogen nicht-rotierenden Experiment zu vergleichen. Und so gelang es uns, auch in der virtuellen Lehre die hands-on Komponente zu erhalten: Die Studierenden führten bei sich zuhause die einfachen, nicht-rotierenden Fälle durch, und für die rotierenden Experimente kamen sie kurzerhand virtuell in Dr. Gleßmers Küche.
Bei dieser virtuellen Exkursion konnten Studierende durch Zuruf direkt das rotierende Experiment beeinflussen. Über zwei Endgeräte konnten sie das Experiment von der Seite und von oben beobachten und die Ergebnisse mit ihren eigenen, nicht-rotierenden Experimenten vergleichen. Als Backup, Vor- und Nachbereitung haben wir die Experimente mit dem gleichen Setup gefilmt und online zur Verfügung gestellt.
Unser Fazit? Für eine spontane Lösung ist uns das ziemlich gut geglückt. Auch hier steht am Ende die Erfahrung, dass es für einige Studierende eine wichtige, in der Vergangenheit oftmals vernachlässigte Komponente ist, Theorie tatsächlich „begreifen“ zu können. Mit einfachsten Mitteln lässt sich zuhause zumindest die Motivation für die nächste online Vorlesung deutlich steigern. Aber wir freuen uns auf die Zeiten, wenn wir mit unseren Studierenden wieder gemeinsam in einem Raum experimentieren können!